Pongmechanik ist ein Kunstprojekt von Niklas Roy (www.cyberniklas.de). Eine Liste der Ausstellungen finden Sie hier.

Der nachfolgende Text erklärt das Projekt:


 

Black Box vs. Vitrine

 
Konrad
Zuse
Als Konrad Zuse 1935 begann, den ersten Computer zu bauen, sah die Welt noch anders aus. Der Siegeszug der Digitaltechnik hatte noch nicht begonnen, die Mechanik bestimmte die Technik. Und so ist es auch nicht verwunderlich, daß Zuse seinen ersten Computer vollständig mechanisch baute. Der Computer funktionierte auch ohne Strom, er konnte mit einer Handkurbel betrieben werden. Bei seinen späteren Maschinen ersetzte Zuse die einzelnen Teile (zunächst das Rechenwerk, später auch den Speicher) durch gebrauchte Telefonrelais.

Ein Relais ist ein ziemlich simpler elektromechanischer Baustein, der zwei Zustände annehmen kann. Ideal also, um binäre Daten zu verarbeiten und zu speichern. Darüberhinaus ist die Funktionsweise eines Telefonrelais offen sichtbar und für jeden Menschen - auch ohne große technische Vorkenntnisse - leicht nachvollziehbar. Der Autodidakt Zuse hatte keine großen technischen Vorkenntnisse, zumindest was die Elektrotechnik betraf. Aber er hatte eine große visuelle Vorstellungskraft. Deshalb kam ihm die Bauweise des Relais entgegen und er konstruierte Computer auf Basis dieser mechanischen Schalter.

 
Zuses Z4
Im Gegensatz zu heutigen Computern verbargen Zuses Maschinen ihr Innenleben nicht hinter Blech, sondern präsentierten es in einer Vitrine. Die Schaltvorgänge der Relais waren durch die Glastüren der Schränke sichtbar, und das damit verbundene Klackern war laut hörbar. Der Rechenvorgang entwickelte eine physische Präsenz; man konnte den Computer beim Arbeiten buchstäblich erleben.

Heutige Computer sind hingegen als Black Box aufgebaut, als ein System, das nicht eingeschaut und schon gar nicht vollständig verstanden werden kann. Man kann durch Beobachtung von Ein- und Ausgabe zwar auf das Verhalten schließen, aber der eigentliche Arbeitsprozeß geschieht im Verborgenen. Ich will damit nicht sagen, daß jeder die Arbeitsweise von Konrad Zuses Computern verstehen kann, aber immerhin war bei ihnen der Arbeitsvorgang wahrnehm- und in gewisser Weise auch nachvollziehbar.


Von der Abstraktion zum Realismus

 
Pong
Prototyp
Als Nolan Bushnell 1972 das erste Pong auf den Markt brachte, war der Erfolg riesig. Die Handhabung der äußerst abstrakten und eigenständigen digitalen Version eines Tennisspiels war bestechend schnell zu begreifen, und das Spiel bot die Möglichkeit das Geschehen auf einem Fernsehschirm - einem Medium, das bislang nur der Abbildung der Realität diente - in Echtzeit zu beeinflussen.

Im Laufe der Zeit haben sich die Videospiele zumeist in eine Richtung weiterentwickelt: Die von dem digitalen Spiel erzeugte virtuelle Realität stimmt mehr und mehr mit den realistischen Bildwelten überein, die wir vom Fernsehen kennen. Die Differenz zwischen einem Playstation-Fußballspiel und einer TV-Fußballübertragung hinsichtlich der visuellen und auditiven Qualität ist heute schon nicht mehr groß. Sie wird mit jeder neuen Generation von Spielkonsolen kleiner. Ein Blick zurück zeigt, wie allmählich zunächst Farbe, dann Pseudo-Dreidimensionalität, und schließlich "echte" dreidimensionale Abbildung etabliert wurden. Die Entwicklung des Tons verlief parallel: Das monotone Gepiepse der Anfangszeit ist inzwischen einem vollen Surround-Klang gewichen.
 
Pac Man
Modulver-
packung

Trotzdem blieben die Interfaces weitgehend unverändert. Die Spiele werden immer noch mit einem Controller gesteuert, dessen Form mit dem Spielinhalt nichts zu tun hat; das Spielgeschehen wird immer noch als zweidimensionale Abbildung auf einer Mattscheibe wahrgenommen, und der Fortschritt beschränkt sich darauf, die Abbildungsqualität realistischer zu gestalten.

Dennoch scheint dieser Fortschritt, so spezifisch er auch ist, für den Spielspaß entscheidend zu sein. Schließlich werden weit mehr aktuelle als alte Videospiele gespielt. Und die Spiele aus der Anfangszeit wie Pong oder auch Pac Man erringen einen neuen Status: Sie werden als Symbol für Videospiele schlechthin wahrgenommen.
 


Die Pongmechanik -
Faszination des Ursprünglichen


Interessant ist der Vergleich dieser beiden gegenläufigen Entwicklungen: Zum einen ist da der Computer, der sich aus seiner tief in der Realität verwurzelten physischen Präsenz herausgelöst hat und zu einem abstrakten, grauen Kasten mit letztendlich unsichtbarem Inhalt geworden ist. Die elektronischen Bauteile in seinem Inneren sind so klein und arbeiten so schnell, daß sich die Informationsverarbeitung unserer Wahrnehmung völlig entzieht. Zum anderen versucht die Entwicklung von Videospielen, den umgekehrten Weg zu gehen und benutzt dafür ebendiesen Computer: Das Videospiel löst sich von seinen in der Abstraktion liegenden Wurzeln und will in der Realität Fuß fassen.
 
Pong-
mechanik
Pongmechanik ist eine elektromechanische Umsetzung des Videospielklassikers Pong. Und anstatt die Abbildungsqualität realistischer zu gestalten, übernimmt es exakt die Darstellung des ursprünglichen Pong. Auch das Steuerinterface unterscheidet sich kaum. Allerdings bricht das Spiel die Black Box auf: Was im Computer vor sich geht, wird wieder nachvollziehbar und fühlbar.

Pongmechanik ist ein absolut reales Spiel. Das Spiel wird auf elektromechanische Weise erzeugt und besteht im Wesentlichen aus vier Elementen:
Einem Relaiscomputer, der mechanischen Ebene mit Bewegung und Kollisionsabfrage, dem Display und den akustischen Bauteilen.

 
Relais-
computer
Element 1: Der Relaiscomputer steuert das Spiel. Er besteht durchgehend aus gebrauchten Telefonrelais, in ihm wurden keine Halbleiter wie Transistoren oder Mikroprozessoren verbaut. Im Gegensatz zu modernen elektronischen Bauteilen sind bei diesen Relais alle Schaltvorgänge sichtbar und hörbar.

Element 2: Die Bewegungen von Ball und Schläger, sowie die Kollisionsabfragen finden in einem Metallgestell unter einer Glasabdeckung statt. Jedes bewegliche Teil hat ein mechanisches Gegenstück, das von Elektromotoren bewegt wird. Kollidieren diese Teile, werden Kontakte geschlossen und die Relais im Computer schalten daraufhin die Drehrichtung der Motoren um.

 
Mechani-
scher
Unterbau
Element 3: Die Bewegung der mechanischen Teile wird über Schnüre und Umlenkrollen auf das Display übertragen. Das Display besteht aus zwei in geringem Abstand übereinanderliegenden Glasplatten. Die untere Glasplatte ist mit dem Spielfeld bemalt. Zwischen den Glasplatten bewegt sich der Ball, ein von schwarzen Schnüren geführtes, weißes Kunststoffquadrat. Auf der oberen Glasplatte bewegen sich die beiden Schläger, zwei weiße Kunststoffrechtecke, die auch von Schnüren geführt werden. Die Punkte werden durch Aussparungen in der Spielfeldbemalung mit zwei Drehscheiben angezeigt.

 
Die Klang-
hölzer
Element 4: Der Ton wird mit zwei Klanghölzern erzeugt, die durch den beweglich aufgehängten Kern zweier Elektromagneten angeschlagen werden. Der Computer steuert diese beiden Elektromagneten an.

Zusammengenommen ergeben diese vier Elemente eine genaue Kopie des Klassikers Pong.
Aber sie sind noch weit mehr:
Das Spielgerät wird um eine physisch verstehbare und physikalisch nachvollziehbare Ebene erweitert. Zum eigentlichen Spielspaß kommt die Faszination der nachvollziehbaren Mechanik hinzu. Das klassische Videospiel begeistert zwei spielende Kontrahenten. Pongmechanik zieht darüber hinaus unbeteiligte Zuschauer in seinen Bann. Sie haben die Muße, die Mechanik des Spiels bis ins Detail zu erforschen.